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Gewerbemietrecht und Corona-Lockdown: Kann die Miete einfach gemindert werden?
Seit dem 16. Dezember 2020 befindet sich Deutschland zur Eindämmung der
Covid-19-Pandemie in seinem zweiten Lockdown. Dies stellt eine große
Herausforderung für die gesamte Wirtschaft dar. Einige Betriebe mussten
komplett schließen oder ihren Geschäftsbetrieb einschränken und haben dadurch
mit erheblichen Umsatzeinbußen zu kämpfen. Auch mit der neuerlichen
Bundes-Notbremse (ab 24. April 2021), die sich für die Öffnung von
Einrichtungen an den Inzidenzwerten orientiert, tritt vorerst keine
Entspannung der Lage ein und viele Vermieter von Gewerbeimmobilien sehen sich
weiterhin dem Verlangen ihrer Mieter nach einer Reduzierung der Miete
ausgesetzt. Durchaus verständlich, denn auch bei den Gewerbemietern bleiben
die Einnahmen aus, staatliche Hilfen wurden noch nicht oder nur zögerlich in
Teilzahlungen ausbezahlt und die monatlichen Kosten bleiben.
Situation beim ersten Lockdown - kein Mangel der Mietsache, (k)eine Störung
der Geschäftsgrundlage
Nach den zwischenzeitlich zahlreich ergangenen Urteilen diverser Landgerichten
zu diesem Thema ist sich die Rechtsprechung jedenfalls darin einig, dass die
behördlich angeordneten Einschränkungen bzw. Schließungsanordnungen auf
Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in aller Regel kein Mangel der
Mietsache darstellen und damit nicht zur Minderung der Miete berechtigen.
Hintergrund ist, dass gemäß § 536 Abs. 1 BGB die vereinbarte Miete von
Gesetzes wegen gemindert wird, wenn die Mietsache bzw. das Mietobjekt zur Zeit
der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum
vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher
Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben,
wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten
Zustand abweicht.
Die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung müsste
dann unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage
des Mietobjekts in Zusammenhang stehen. Dies ist allerdings in der Regel nicht
der Fall, denn theoretisch kann der Mieter die Räumlichkeiten weiterhin nutzen
und gebrauchen. Die gesetzgeberischen Maßnahmen haben "lediglich" Auswirkungen
auf den geschäftlichen Erfolg des Mieters. Dies fällt allerdings in den
Risikobereich des Mieters, denn das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache
trägt bei der Gewerberaummiete grundsätzlich der Mieter. Dazu gehört vor allem
das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die
Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstands
nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen
Mieters.
Nicht so einig sind sich Rechtsprechung und Literatur, was die Mietminderung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage angeht.
Die Störung der Geschäftsgrundlage ist in § 313 BGB geregelt und hat nach Anwendbarkeit der Norm vier Voraussetzungen:
- zunächst muss ein Umstand als Geschäftsgrundlage vorliegen. Dies sind alle Umstände, die von jedenfalls einer Vertragspartei vorausgesetzt wurden und auf deren Vorhandensein der Geschäftswille aufbaut, ohne dass dieser Umstand Vertragsinhalt geworden ist
- dieser Umstand muss entweder nachträglich weggefallen sein bzw. sich schwerwiegend verändert haben (§ 313 Abs. 1 BGB) oder von vornherein fehlen (§ 313 Abs. 2 BGB) (sog. "reales Merkmal", 1. Element)
- weiterhin muss dieser Umstand so wesentlich sein, dass die Vertragspartei in Kenntnis dieser Umstände den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte (sog. "hypothetisches Merkmal", 2. Element)
-
schließlich ist zu prüfen, ob das Festhalten an dem Vertrag unter
diesem Umstand zumutbar ist oder nicht und damit eine
Vertragsanpassung stattzufinden hat. Hierbei ist eine Risikobetrachtung
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Ist der
Umstand dem Risikobereich der Vertragspartei zuzuordnen, wird keine
Unzumutbarkeit gegeben sein (sog. "normatives Merkmal", 3. Element)
- die konkrete wirtschaftliche Situation
- der Umfang der erlittenen Umsatzeinbußen der Mieter,
- sowie Höhe und Zeitpunkt staatlicher Hilfen.
Einige Gerichte halten bereits den Anwendungsbereich des § 313 Abs. 1 BGB für nicht eröffnet, weil die vertragliche Risikoverteilung bei einer Anwendung der Vorschrift unterlaufen werden würde. Das Verwendungsrisiko der Mietsache liege allein beim Mieter. Zwar handle es sich bei der derzeitigen Coronapandemie und den damit einhergehenden Beschränkungen um eine unvorhergesehene Entwicklung. Allein dieser Umstand vermag eine Abänderung der vertraglichen Risikoverteilung indes noch nicht zu begründen. Eine Auslegung des § 313 Abs. 1 BGB, die die vertragliche Risikoverteilung pauschal zu Lasten des Vermieters verschieben würde, liefe dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zuwider.
Andere Gerichte wiederum haben zwar die Anwendung des Rechtsinstituts grds. bejaht, aber die Messlatte sehr hoch gelegt. Die staatlich verordneten Schließungen im Zuge der COVID-19-Pandemie könne erst dann zu einem Anspruch auf Anpassung des Vertrags unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB führen, wenn es aufgrund dessen für den Gewerberaummieter zu existentiell bedeutsamen Folgen kommt.
ergangene Entscheidungen, die eine Störung der Geschäftsgrundlage verneint haben: AG Düsseldorf, Urt. v. 10.11.2020 - 45 C 245/20, AG Köln, Urt. v. 4.11.2020 - 206 C 76/20Gesetzliche Neuregelung zum 22.12.2020
Entscheidungen, die eine Störung der Geschäftsgrundlage grds. für möglich halten o. bejaht haben: LG Wiesbaden, Urt. v. 5.10.2020 - 9 O 852/20, LG München I, Urt. v. 5.10.2020 - 34 O 6013/20, LG Mönchengladbach, Urt. v. 2.11.2020 - 12 O 154/20, LG Stuttgart, Urt. v. 19.11.2020 - 11 O 215/20, OLG Dresden, Urt. v. 24.02.2021 - 5 U 1782/20
Der Bundestag hat daraufhin gegen Ende des Jahres 2020 mit dem "Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht" vom 22.12.2020 (In Kraft getreten 30.12.2020) folgende Regelung in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) aufgenommen:
Artikel 240 § 7 EGBGB Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen
(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.
Danach sollen Mieter vom Vermieter eine Anpassung der Miete an die Umstände der COVID-19-Pandemie wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) verlangen können - wenn die wirtschaftlichen Folgen für Mieter unzumutbar sind.
Laut der Gesetzesbegründung gilt die Vermutung allerdings nur für das sog. "reale Merkmal" (1. Element) des § 313 Abs. 1 BGB (Änderung wesentlicher Umstände). Das 2. Element (Abweichende Regelung bei Kenntnis der Parteien) und das 3. Element (Unzumutbarkeit für eine der Parteien am Vertrag festzuhalten) bleiben von der gesetzlichen Regelung unberührt und sind im Einzelfall vom Mieter darzulegen und zu beweisen. Insbesondere wird es hier auf die Unzumutbarkeit einer unveränderten Beibehaltung des Mietvertrages durch (erhebliche) Umsatzeinbußen und eine fehlende Kompensation zum Beispiel durch staatliche Maßnahmen ankommen, die der Mieter darzulegen hat.
Die Rechtsprechung nimmt das Vorliegen von Unzumutbarkeit erst an, wenn das Festhalten am Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde. Das Corona-Gesetz-2 ändert daran nichts. Bei der Feststellung der Unzumutbarkeit ist daher trotz des Corona-Gesetzes-2 auf die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung, die Vorhersehbarkeit, die Zurechenbarkeit, die Beherrschbarkeit, die Einflussnahmemöglichkeiten, die Art des Geschäfts und den Grad der Eigenverantwortung abzustellen (Jung, BB 2021, 329, 332).
Ebenso lässt die Regelung die Rechtsfolge einer gestörten Geschäftsgrundlage - wenn sie dann vorliegt - offen. Ob und in welcher Höhe Mieter eine Anpassung des Mietvertrages in Form einer Anpassung der Miete, Stundung oder Erlass verlangen können, wird von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Entscheidend bleiben die konkreten wirtschaftlichen Folgen für Mieter und Vermieter. Maßgebliche Faktoren sind
Im Falle einer erfolgreichen Kostensenkung durch den Mieter in anderen Bereichen werden die Chancen auf eine Anpassung des Mietvertrages folglich gemindert.
Aktuelle Entscheidung vom KG Berlin - Minderung um 50% und Solidarität
Das Kammergericht Berlin hat mit aktuellem Urteil vom 01.04.2021 (Az. 8 U 1099/20) zugunsten des Mieters eine Mietminderung um 50 % mit folgender Begründung angenommen: Der Mieter habe die Räumlichkeiten seit Ausbruch der Pandemie überhaupt nicht mehr in der vertraglich vorgesehenen Weise nutzen können. Als die Parteien den Mietvertrag geschlossen hatten, sei die Covid-19-Pandemie indes noch weit entfernt gewesen. Beide Parteien hätten sich also zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorstellen können, dass es zu einer weitgehenden Stilllegung des öffentlichen Lebens durch staatliche Beschränkungen kommen könnte. Es ist also naheliegend, dass die Parteien in Kenntnis der mit der Pandemie verbundenen Konsequenzen den Vertrag so nicht geschlossen hätten.
Das Kammergericht betonte, dass die staatlichen Maßnahmen gerade kein normales vertragliches Risiko darstellten. Ein solcher potenziell existenzgefährdender Eingriff liege dabei außerhalb der Verantwortungssphären von Mietern und Vermietern. Daher sei es auch keiner Partei zumutbar, das Risiko allein tragen zu müssen. Vielmehr sollen die Nachteile nach Ansicht des Gerichts von beiden Parteien solidarisch getragen werden.
Fazit