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Gewerbemietrecht und Corona-Lockdown: Kann die Miete einfach gemindert werden?
Blog vom 02.02.2022

Von Rechtsanwältin Nadja Keller-Weißflog

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Seit dem 16. Dezember 2020 befindet sich Deutschland zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie in seinem zweiten Lockdown. Dies stellt eine große Herausforderung für die gesamte Wirtschaft dar. Einige Betriebe mussten komplett schließen oder ihren Geschäftsbetrieb einschränken und haben dadurch mit erheblichen Umsatzeinbußen zu kämpfen. Auch mit der neuerlichen Bundes-Notbremse (ab 24. April 2021), die sich für die Öffnung von Einrichtungen an den Inzidenzwerten orientiert, tritt vorerst keine Entspannung der Lage ein und viele Vermieter von Gewerbeimmobilien sehen sich weiterhin dem Verlangen ihrer Mieter nach einer Reduzierung der Miete ausgesetzt. Durchaus verständlich, denn auch bei den Gewerbemietern bleiben die Einnahmen aus, staatliche Hilfen wurden noch nicht oder nur zögerlich in Teilzahlungen ausbezahlt und die monatlichen Kosten bleiben.

Situation beim ersten Lockdown - kein Mangel der Mietsache, (k)eine Störung der Geschäftsgrundlage
Nach den zwischenzeitlich zahlreich ergangenen Urteilen diverser Landgerichten zu diesem Thema ist sich die Rechtsprechung jedenfalls darin einig, dass die behördlich angeordneten Einschränkungen bzw. Schließungsanordnungen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in aller Regel kein Mangel der Mietsache darstellen und damit nicht zur Minderung der Miete berechtigen.

Hintergrund ist, dass gemäß § 536 Abs. 1 BGB die vereinbarte Miete von Gesetzes wegen gemindert wird, wenn die Mietsache bzw. das Mietobjekt zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. Ein derartiger Mangel ist dann gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht.
Die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung müsste dann unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang stehen. Dies ist allerdings in der Regel nicht der Fall, denn theoretisch kann der Mieter die Räumlichkeiten weiterhin nutzen und gebrauchen. Die gesetzgeberischen Maßnahmen haben "lediglich" Auswirkungen auf den geschäftlichen Erfolg des Mieters. Dies fällt allerdings in den Risikobereich des Mieters, denn das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache trägt bei der Gewerberaummiete grundsätzlich der Mieter. Dazu gehört vor allem das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des Mieters aufgrund eines nachträglich eintretenden Umstands nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters.

ergangene Entscheidungen dazu: LG Heidelberg, Urt. v. 30.7.2020 - 5 O 66/20, LG Zweibrücken, Urt. v. 11.9.2020 - HK O 17/20, LG München II, Urt. v. 22.9.2020 - 13 O 1657/20 u. Urt. v. 6.10.2020 - 13 O2044/20, LG Frankfurt am Main, Urt. v. 5.10.2020 - 2-15 O 23/20, LG Wiesbaden, Urt. v. 5.10.2020 - 9 O 852/20, LG Stuttgart, Urt. v. 19.11.2020 - 11 O 215/20

Nicht so einig sind sich Rechtsprechung und Literatur, was die Mietminderung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage angeht.

Die Störung der Geschäftsgrundlage ist in § 313 BGB geregelt und hat nach Anwendbarkeit der Norm vier Voraussetzungen:
  • zunächst muss ein Umstand als Geschäftsgrundlage vorliegen. Dies sind alle Umstände, die von jedenfalls einer Vertragspartei vorausgesetzt wurden und auf deren Vorhandensein der Geschäftswille aufbaut, ohne dass dieser Umstand Vertragsinhalt geworden ist
  • dieser Umstand muss entweder nachträglich weggefallen sein bzw. sich schwerwiegend verändert haben (§ 313 Abs. 1 BGB) oder von vornherein fehlen (§ 313 Abs. 2 BGB) (sog. "reales Merkmal", 1. Element)
  • weiterhin muss dieser Umstand so wesentlich sein, dass die Vertragspartei in Kenntnis dieser Umstände den Vertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätte (sog. "hypothetisches Merkmal", 2. Element)
  • schließlich ist zu prüfen, ob das Festhalten an dem Vertrag unter diesem Umstand zumutbar ist oder nicht und damit eine Vertragsanpassung stattzufinden hat. Hierbei ist eine Risikobetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Ist der Umstand dem Risikobereich der Vertragspartei zuzuordnen, wird keine Unzumutbarkeit gegeben sein (sog. "normatives Merkmal", 3. Element)

      Einige Gerichte halten bereits den Anwendungsbereich des § 313 Abs. 1 BGB für nicht eröffnet, weil die vertragliche Risikoverteilung bei einer Anwendung der Vorschrift unterlaufen werden würde. Das Verwendungsrisiko der Mietsache liege allein beim Mieter. Zwar handle es sich bei der derzeitigen Coronapandemie und den damit einhergehenden Beschränkungen um eine unvorhergesehene Entwicklung. Allein dieser Umstand vermag eine Abänderung der vertraglichen Risikoverteilung indes noch nicht zu begründen. Eine Auslegung des § 313 Abs. 1 BGB, die die vertragliche Risikoverteilung pauschal zu Lasten des Vermieters verschieben würde, liefe dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zuwider.
      Andere Gerichte wiederum haben zwar die Anwendung des Rechtsinstituts grds. bejaht, aber die Messlatte sehr hoch gelegt. Die staatlich verordneten Schließungen im Zuge der COVID-19-Pandemie könne erst dann zu einem Anspruch auf Anpassung des Vertrags unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB führen, wenn es aufgrund dessen für den Gewerberaummieter zu existentiell bedeutsamen Folgen kommt.
      ergangene Entscheidungen, die eine Störung der Geschäftsgrundlage verneint haben: AG Düsseldorf, Urt. v. 10.11.2020 - 45 C 245/20, AG Köln, Urt. v. 4.11.2020 - 206 C 76/20
      Entscheidungen, die eine Störung der Geschäftsgrundlage grds. für möglich halten o. bejaht haben: LG Wiesbaden, Urt. v. 5.10.2020 - 9 O 852/20, LG München I, Urt. v. 5.10.2020 - 34 O 6013/20, LG Mönchengladbach, Urt. v. 2.11.2020 - 12 O 154/20, LG Stuttgart, Urt. v. 19.11.2020 - 11 O 215/20, OLG Dresden, Urt. v. 24.02.2021 - 5 U 1782/20


      Gesetzliche Neuregelung zum 22.12.2020
      Der Bundestag hat daraufhin gegen Ende des Jahres 2020 mit dem "Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht" vom 22.12.2020 (In Kraft getreten 30.12.2020) folgende Regelung in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) aufgenommen:

      Artikel 240 § 7 EGBGB Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen

      (1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
      (2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.

      Danach sollen Mieter vom Vermieter eine Anpassung der Miete an die Umstände der COVID-19-Pandemie wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) verlangen können - wenn die wirtschaftlichen Folgen für Mieter unzumutbar sind.

      Laut der  Gesetzesbegründung gilt die Vermutung allerdings nur für das sog. "reale Merkmal" (1. Element) des § 313 Abs. 1 BGB (Änderung wesentlicher Umstände). Das 2. Element (Abweichende Regelung bei Kenntnis der Parteien) und das 3. Element (Unzumutbarkeit für eine der Parteien am Vertrag festzuhalten) bleiben von der gesetzlichen Regelung unberührt und sind im Einzelfall vom Mieter darzulegen und zu beweisen. Insbesondere wird es hier auf die Unzumutbarkeit einer unveränderten Beibehaltung des Mietvertrages durch (erhebliche) Umsatzeinbußen und eine fehlende Kompensation zum Beispiel durch staatliche Maßnahmen ankommen, die der Mieter darzulegen hat.

      Die Rechtsprechung nimmt das Vorliegen von Unzumutbarkeit erst an, wenn das Festhalten am Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde. Das Corona-Gesetz-2 ändert daran nichts. Bei der Feststellung der Unzumutbarkeit ist daher trotz des Corona-Gesetzes-2 auf die vertragliche und gesetzliche Risikoverteilung, die Vorhersehbarkeit, die Zurechenbarkeit, die Beherrschbarkeit, die Einflussnahmemöglichkeiten, die Art des Geschäfts und den Grad der Eigenverantwortung abzustellen (Jung, BB 2021, 329, 332).

      Ebenso lässt die Regelung die Rechtsfolge einer gestörten Geschäftsgrundlage - wenn sie dann vorliegt - offen. Ob und in welcher Höhe Mieter eine Anpassung des Mietvertrages in Form einer Anpassung der Miete, Stundung oder Erlass verlangen können, wird von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Entscheidend bleiben die konkreten wirtschaftlichen Folgen für Mieter und Vermieter. Maßgebliche Faktoren sind

      • die konkrete wirtschaftliche Situation
      • der Umfang der erlittenen Umsatzeinbußen der Mieter,
      • sowie Höhe und Zeitpunkt staatlicher Hilfen.

      Im Falle einer erfolgreichen Kostensenkung durch den Mieter in anderen Bereichen werden die Chancen auf eine Anpassung des Mietvertrages folglich gemindert.

      Aktuelle Entscheidung vom KG Berlin - Minderung um 50% und Solidarität
      Das Kammergericht Berlin hat mit aktuellem Urteil vom 01.04.2021 (Az. 8 U 1099/20) zugunsten des Mieters eine Mietminderung um 50 % mit folgender Begründung angenommen: Der Mieter habe die Räumlichkeiten seit Ausbruch der Pandemie überhaupt nicht mehr in der vertraglich vorgesehenen Weise nutzen können. Als die Parteien den Mietvertrag geschlossen hatten, sei die Covid-19-Pandemie indes noch weit entfernt gewesen. Beide Parteien hätten sich also zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorstellen können, dass es zu einer weitgehenden Stilllegung des öffentlichen Lebens durch staatliche Beschränkungen kommen könnte. Es ist also naheliegend, dass die Parteien in Kenntnis der mit der Pandemie verbundenen Konsequenzen den Vertrag so nicht geschlossen hätten.
      Das Kammergericht betonte, dass die staatlichen Maßnahmen gerade kein normales vertragliches Risiko darstellten. Ein solcher potenziell existenzgefährdender Eingriff liege dabei außerhalb der Verantwortungssphären von Mietern und Vermietern. Daher sei es auch keiner Partei zumutbar, das Risiko allein tragen zu müssen. Vielmehr sollen die Nachteile nach Ansicht des Gerichts von beiden Parteien solidarisch getragen werden.

      Fazit

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