von Rechtsanwalt Tobias Wölfl, Uricher Rechtsanwälte
Die Relevanz von Vorsorgevollmachten ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Begründet wird dies vor allem durch den demographischen Wandel: Je höher der Anteil von Seniorinnen und Senioren, desto mehr rückt die rechtliche Absicherung bei eigener Handlungsunfähigkeit in den Fokus. Im Zehnjahresvergleich hat sich die Anzahl registrierter Vorsorgevollmachten mehr als verfünffacht. So zählte die Bundesnotarkammer, die das Zentrale Vorsorgeregister führt, im Jahr 2011 noch 1.011.227 registrierte Vorsorgevollmachten gegenüber 5.684.327 im Jahr 2022 (1).
Die Erteilung einer Vorsorgevollmacht wird in vielen Fällen anwaltlich begleitet, sodass der Vollmachtgeber über die Tragweite der Vollmacht hinreichend informiert wird. Demgegenüber nimmt der Bevollmächtigte an diesem Prozess zumeist nicht oder nur geringfügig teil. Welchen Pflichten der Bevollmächtigte nachkommen muss und wo die Grenzen zu ziehen sind, liegen nicht immer auf der Hand. So hat sich jüngst der Bundesgerichtshof durch Beschluss vom 16.11.2022 - XII ZB 212/22 mit den Grenzen der Aufgaben eines Bevollmächtigten beschäftigt:
1. Keine persönliche Betreuung des Vollmachtgebers
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Vorsorgevollmacht - sofern nichts Abweichendes geregelt wurde - den Bevollmächtigten nur zur rechtlichen Vertretung verpflichtet, nicht aber zur persönlichen Betreuung des Vollmachtgebers. Konkret bedeutet dies, dass der Bevollmächtigte lediglich die notwendigen tatsächlichen Hilfen zu besorgen hat und diese nicht selbst zu leisten hat. Insbesondere ist der Bevollmächtigte zur Erbringung tatsächlicher Pflegeleistungen oder zur persönlichen Hilfe im Alltag nicht verpflichtet.
2. Bestellung eines Betreuers bei vorhandener Vorsorgevollmacht?
Grundsätzlich steht die Vorsorgevollmacht der Bestellung eines Betreuers entgegen. Eine Ausnahme gilt nur, soweit der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen. Insbesondere ist der Bevollmächtigte als ungeeignet anzusehen, wenn aufgrund der mangelnden Befähigung oder wegen erheblicher Bedenken an der Redlichkeit des Bevollmächtigten eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen zu befürchten ist. Indes reicht eine rein räumliche Entfernung des Bevollmächtigten grundsätzlich nicht aus, um eine Betreuerbestellung wegen fehlender Eignung des Bevollmächtigten zu begründen. Etwas anderes gilt nur, wenn tragfähige Feststellungen ergeben, dass aufgrund der räumlichen Entfernung der Bevollmächtigte die Vollmacht nicht zum Wohle des Vollmachtgebers ausüben kann oder will.
Laut Rechtsprechung soll die Bestellung eines Betreuers neben einer Vorsorgevollmacht lediglich bei Aufgabenbereichen möglich sein, die für den Bevollmächtigten nicht zu bewältigen sind. Auch nach der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts 2023 wird gesetzlich an diesem Grundsatz festgehalten. So beschreibt der neugefasste § 1815 BGB den Umfang der Betreuung ausschnittsweise wie folgt: